NGBK Berlin "Gunafa 2000. Hypermedia Installation. Inszenierung einer zentralen Feuerstelle im Cyberspace"

Exhibition & performances, curated by Bea E.Stammer & Gabriele Horn, June/July 1991

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Gunafa 2000. Hypermedia Installation. Creation of a Central Fireplace in Cyberspace.
at NGBK/Neue Gesellschaft für Bildende Kunst e.V., Berlin June/July 1991.

STR was online during the exhibition, and sent and received messages, which as print-outs were part of the exhibition. A video message by Dr.Timothy Leary greeted the visitors of the exhibition.

"Gunafa 2000. Hypermedia Installation. Inszenierung einer zentralen Feuerstelle im Cyberspace"

Text by Bea E.Stammer & Gabriele Horn for the Catalog "1st decade"

Berlin Station Rose

Am 4.8.91 stellte der Berliner Tagesspiegel zum Thema "Abenteuer Cyberspace" in einer doch eher pessimistisch anklingenden Sichtweise auf die Entwicklung der neuen Technologien fest, daß Cyberspace keine Science fiction mehr ist, sondern: "Laut Peter Weibel, Leiter des Instituts für Neue Medien in Frankfurt, ist der virtuelle Raum realisierbar - die Zukunft hat längst begonnen, wenn auch nur auf dem Niveau eines Videospiels."

Zwei Tage zuvor, am 2.8.91 war in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst das erste Berliner Ausstellungsprojekt der Station Rose zu Ende gegangen: "Gunafa 2000. Hypermedia Installation. Inszenierung einer zentralen Feuerstelle im Cyberspace". Elisa Rose und Gary Danner bespielten die damaligen Ausstellungsräumen der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst am Tempelhofer Ufer fünf Wochen mit neuesten, digital erstellten Sounds & Visuals aus dem digitalen Archiv eigener Feldforschungsdaten: Laser Bubble Jet Farbkopien, Laserkopien, Neon Shop Windowdisplays, Computerdrucken, Computeranimation, Videoart, Lichtobjekten und einem Gunafa-Infostand - audio-visuelles Material, was u.a. während eines 8-monatigen Stipendiums der Station Rose im Außendienst in Cairo vorgefunden, bearbeitet, digitalisiert und gesampelt wurde. Während wir als Kuratorinnen des Projektes den Entwurf des zu druckenden Plakates noch in traditioneller Manier, mit Blindschrift versehen, zur Grafikerin gaben und die Texte auf der guten alten Brother-Schreibmaschine herunterhämmerten, waren wir im Projekt mit einer "kulturtechnischen Strategie" konfrontiert, die sich in einem Info-Cocktail der Station Rose von 1991 wie folgt liest: KONZENTRATION DURCH ENTINDIVIDUALISIERUNG DURCH ÜBERINFORMATION. PUBLIC BRAIN. GUNAFA-REALITÄTSDESIGN für Cyberspace-Rebels on the level of Global-Sprawl-Communitiy. Welcome !

Was in der vormals subkulturellen Praxis Psychedelic und verwandten Technik vorgeladen ist, findet im Gunafa-Hypermedia als Kunstartikulation seine Up Date Version:

Es geht um das Zurücklassen des Egos, der monolithischen "Realität", für ein interaktives Netzwerk, gespeist mit emotionalen, digitalen, politischen, archaisch-sakralen, zeitfreien Daten, das sich mit jeder Präsentation updated, und durch Kommunikation auf verschiedensten Realitätsebenen ständig gespeist wird. Welcome !

Die Eröffnung des Projektes wurde eingeleitet durch eine virtuelle Begrüßung von Timothy Leary, Ph.D., dem Prophet der Bewußtseinserweiterung, der nach den Drogenexperimenten, nunmehr in den neuen Technologien, im Gebrauch und der Erfindung neuer Kommunikationsmittel und -weisen ein bewußtseinserweiterndes Potential für das Individuum sah. Im Anschluß daran trat Station Rose mit einer Public Brain Session den Beweis an: ein komplexes Zusammenspiel durch Computer diversiverzierter Melodien und Bilder - 300 BPM (Beats pro minute), der Takt der gehirneigenen Alphawellenfrequenz und damit anschließend an den eigenen Körperrhythmus - transportierte das Indiviuum in eine augenblickliche Inszenierung von Realität, einen Realitätssprung, eine Scheinwelt, ein Halluzinogen, das auf neuen Wegen der Kommunikation auf damals mehr oder weniger neuen Kunstformen basierte - in die Inszenierung einer elektronischen Feuerstelle im Cyberspace.

Man mußte sich einlassen auf diese elektronische Simulation, in sich kehren und sich öffnen, die sich überlagernden, sich auf die menschlichen beziehenden, aber getunten Frequenzen annehmen und aus ihnen heraus eigenständig weiterspinnen, aus freiem Willen, die Hirnwellen animiert zum Überschwappen. Animation, Stimulation, Suggestion, die sich zur weiterführenden Assoziation entwickelte - das Spiel von Stimulation und Simulation.

Station Rose ging es nicht um die Versetzung eines Publikums in einen Trancezustand, der letztendlich die freie Willensbestimmung ausschließt, sondern um die Vermittlung einer wahrnehmungsorientierten Anwendung der von der Technowissenschaft bereitgestellten Potentiale. Während in der Renaissance die Nähe zwischen Technik und Kunst auf der Prämisse basierte, unbekannte, erahnte, künstlerisch konstruierte, per Idee geleitete Weltsichten mittels Naturwissenschaft und Technikentwicklung zu fundieren, geht es heute darum, Wirklichkeiten mittels Computersimulation zu erzeugen, Imagination per Technik herzustellen. Station Rose hat sich darauf eingelassen, ohne daß dabei die Kunst verschwindet. Sie nutzten bereits 1991 unterschiedliche Wirklichkeitsebenen, um der Irritation und der Imagination freien Lauf zu lassen. Ihnen ging und geht es nicht um ästhetische Effekte, sondern um die Frage nach und die Feldforschung darüber, welcher ästhetischer Strategien es heute bedarf, um in der Erkenntnis und in der Anwendung der neuen Technologien neue künstlerische Strategien zu entwickeln. Damit waren Station Rose - Elisa Rose und Gary Danner - der seinerzeitigen pessimistischen Haltung gegenüber den neuen Technologien sowieso, aber auch der positivistischen Haltung eine Nasenlänge voraus. Sie experimentierten, laborierten und interagierten, lange bevor crossover und club culture zum mainstream wurde.

Schon ein Jahr später konnten wir Station Rose für ein weiteres Statement nach Berlin bitten, diemal ging es um eine Artikulation von Kunst im Kontext des Sozialen und Urbanen.

Im Um- und Aufbruch der Berliner Kunst- und Galerienlandschaft nach der Wende wurde vom Kunst-Werke Berlin e.V., der schon 1990 in eine verlassene Fabrik in der Auguststraße gezogen war, die Idee für die Ausstellung "37 Räume" geboren, die sich parallel zur d 9 im Juni 1992 als Artikulation von Ideen und Konzepten zur aktuellen Kunst mitten in der von beginnenden Veränderungen gekennzeichneten Stadt präsentierten.

In den noch ungeklärten Besitzverhältnissen der ehemaligen Spandauer Vorstadt der Berliner Mitte, im ruinösen Charme der Auguststraße, wurden von 37 KuratorInnen leerstehende Wohn- und Gewerberäume - Läden, Wohnungen, Hotelzimmer, eine Schule - eine Woche lang zu Kunsträumen erklärt. Ein gewagtes Unternehmen, drohte doch den Mietern durch die Nähe zum künftigen Regierungsviertel und dem zu erwartenden Bauboom, mögliche Vertreibung, welche das ehemals stark vom jüdischen Leben geprägte Viertel schon einmal miterleben mußte.

Kunst-Konzepte und KünstlerInnen an diesem Ort mußten genügend Sensibilität beweisen, um nicht in den Verdacht zu geraten, Lockvögel für Spekulanten zu werden. Durch Untersuchungen, Feldforschungen und soziale Konzepte sollte das Ausstellungs- und Darstellungssystem in der zeitgenössischen Kunst reflektiert werden.

Die einen verstanden ihren Beitrag als kulturpolitischen Verweis und bezogen die Stimmung des Viertels mit ein, die anderen setzten mit unspektakulären Akzenten auf die Kunst, die anderen auf das Leben.

Virtuos wurde das Vorläufige in Szene gesetzt und das Provisorische zum Kunstwerk erklärt.

Mit tiefsinnigem Gespür für Ort und Zeitpunkt verstand der nun schon verstorbene Wolfgang Max Faust seinen Beitrag als eine Anleitung zum Hören, er plazierte die Partitur ´Silence´ von John Cage in einen koscheren Laden. Auch Fotografien von Gordon Matta-Clark oder eine Projektbörse für KuratorInnen aus dem Baltikum und Rußland spielten auf die Örtlichkeit oder den sozialen Kunstkontext an. In einem anderen Beitrag wurden erklärtermaßen Fenster geputzt, um für mehr Transparenz in der Kunst zu werben.

Wir persiflierten den mahnenden Ruf vieler Künstlerinnen nach einer Frauenquote auf der zeitgleichen documenta 9 und baten internationale Künstlerinnen um einen kritischen Beitrag für Berlin. In der Auguststraße 4, einem heruntergekommenden leerstehenden Gebäude, in dem sich britische Hausbesetzer niedergelassen hatten, die mit Schweißgerät überlebensgroße Stahlfiguren kreierten, hatten wir regelrecht Probleme, die Fülle der eingesandten und vorbeigebrachten Beiträge von über 70 Künstlerinnen auf einer Etagen zu plazieren und - Ironie des Schicksals - verhandelten mit den Besetzern über mehr Platz für die Kunst.

Unter unserem Motto MISS-ING fügte sich sehr passend ein Statement von Colette aus New York ein: Ein großes Leinentuch mit dem Spruch NO MONEY, NO ART. Ulrike Ottinger brachte einen Abzug einer Landschaftsaufnahme aus der Mongolei vorbei, Valie Export war mit einer Dia Raum-in-Raum Situation vertreten, Hella von Sinnen lieferte einen Mini-TV zum Selbstbedienen und mischte Kölner- mit von Sinnen Motive. Melissa Gould (USA) gefiel die Berliner Wurstauswahl, insbesondere die "Kinderwurst" so gut, daß sie einen ganzen Raum als 'Schinkenpavillion' mit Wurstgesichtern zu ihrem Berlin-Statement machte. Vertreten waren unter vielen anderen: Helen Chadwick (GB), Eun Num Ro (Korea), Thereza Miranda (Brasilien), Murshida Arzu Alpana (Bangladesh), Nancy Spero (USA), Svetlana Kopstiansky (Rußland) Sarah Stevenson (Kanada), Jelena Peric (Kroatien), Cecilia Edelfalk (Schweden), Ana Lupas (Rumänien) Helen Escobedo (Mexiko), Anne Jud (Schweiz), u. A.

Auftakt der Eröffnung war ein Besuch von Yoko Ono, die zeitgleich eine Show in Berlin hatte und zwei kleine Boxen abstellte mit der Aufschrift: 'Box of Smile', mit Spiegelglas ausgekleidete Schachteln, die beim Hineinsehen das Gesicht des Betrachters spiegelten. Yoko Ono sympatisierte mit unserer Idee von MISS-ING und forderte ein stärkeres Gespür und Gehör für Künstlerinnen, was sich 4 Jahre später auf der Documenta 10 durch Catherine David bewahrheiten sollte.

Auch Elisa und Gary kamen eigens in diese Happening-Stimmung mit einem Leuchtkasten: "von 360 millionen jahren bis jetzt". Der Leuchtkasten zeigte die Visualisierung von Computerdaten in einer Oberflächentextur. Er stellte die Verbindung eines komplexen Computerautomatismus mit der kreativen Intuition des Menschen in Realzeit dar. Es war der einzige Beitrag, der weitestgehend im Bereich Wissenschaft und Ästhetik anzusiedeln war, und in dem das Medium Computer eine Rolle spielte und der erahnen ließ, daß Wissenschaft, Technik und Künste in den 90 er Jahren wieder enger zueinander rücken werden.

Die Station Rose in Wien war mittlerweile aufgelöst und in den Cyberspace transformiert. Es gab eine e-mail Vernetzung mit The Well/Californien, Station Rose war online und agierte von Frankfurt aus. Für uns signalisierte Station Rose und die zunehmende Einbindung und Einmischung der Künstler in neue technologische Entwicklungen im ausgehenden 20. Jahrhunderts die Möglichkeit einer menschenfreundlicheren Informationstechnik einerseits und die Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten der Kunst durch einen Techniksprung, der weitaus größer scheint als der der Geometrie, der Perspektive, der Drucktechniken, der Fotografie oder des Films. Daß am Anfang einer derartigen Entwicklung die Gefahr thematisiert wird, daß der Mensch es nicht vermag, Schein und Wirklichkeit, d.h. die künstliche und damit manipulierbare Welt von der realen Welt zu trennen, doch diese Gefahr birgt jedes Medium in sich, in dem ein großer Bereich möglicher Erfahrungen dargeboten werden kann. Es ist eine Frage der bewußten Anwendung und des kritischen Umgangs mit dem Medium.

Anfang 1999 wird Station Rose/E.R. innerhalb einer intermedialen Ausstellung von Künstlerinnen unter dem Titel 'crossLinks' mit ihrem Beitrag 'Webcasting' wiederum in Berlin vertreten sein und mit uns zusammen arbeiten. Webcasting versteht sich als letztes Kapitel von '1st decade' der Station Rose sowie als erstes Kapitel von LAH/Life after History.

 

Wir hoffen, sie nehmen uns mit. Gabriele Horn und Beatrice E. Stammer, im Juli 1998