Editorial on Dubstep

SKUG Magazine

:// notes

Original Artikel (in German)

»«Dubstep-Fever

„It’s the people´s music“ (Loefah)

 

Into The City/skug holten die Crème de la crème des Dubstep nach Wien. Benga, Loefah, Hatcha und N-Type rockten die London-Nacht, während anlässlich des internationalen Dubstep-Allnighters auch der Nordire Boxcutter einschlägige Auskünfte gab.

 

von Gary Danner

Als ich im Wintersemester 2003 an der University of Applied Sciences in Darmstadt eine Vorlesung zur Geschichte von Dub startete, fehlte mir noch ein Missing Link am Ende, ein Thema, ein Musikgenre oder ein Begriff, der sich direkt auf Dub bezog, und der den Bogen zur Musik der Gegenwart spannen könnte.

 

Dub-Theories

Ich hatte mich entschlossen, den StundentInnen als Theorie zu den Praktika, in denen sie innerhalb eines Semesters einen einminütigen audiovisuellen Clip kreieren sollten, die Geschichte der jamaikanischen Popmusik zu erklären. Die Vorlesung begann mit Calypso und ging dann auf der Zeitleiste schrittweise über in Ska, Rocksteady, Reggae, und mündete dann in Dub. Das Thema Dub hatte sich deswegen als sinnvolle Theoriebegleitung herausgestellt, da heute, wenn auch oft unbewusst, so gut wie jede elektronische Musikproduktion auf den Spielregeln von Dub aufgebaut ist: ein »Hauptthema« wird vorgestellt und im Laufe des Musikstückes in seine Einzelteile zerlegt, um gegen Ende wieder neu zusammengesetzt zu werden. Der Reiz von Dub (und das seit den späten 1960ern) liegt im wechselseitigen Auseinanderdividieren und im in anderen Zusammenhängen Wiederzusammensetzen. Das Studio als Musikinstrument, die Effekte als neben den Instrumenten (Drums, Percussion, Bass, Gitarre, Keyboards) gleichwertige Instrumente (besser gesagt: Transformations-Tools), die weniger durch Harmonien oder Melodien die Charakteristik des Musikstückes beeinflussen, als räumliche Dimensionen einbringen: Hall/Reverb vergrößert oder verkleinert den Klangraum (die Zeit), Echo/Delay beeinflussen die Zeitwahrnehmung (die Orientierung im Raum), Effekte wie Flanger, Chorus oder Phaser verschieben klangdefinierende Frequenzen im Stereobild weg von ihren Ursprüngen, Verzerrung vermittelt einen akustischen Vintage-Appeal (speziell bei von Radio/TV aufgenommenen Sprach-Samples), etc. etc.

 

Sounds & Spaces

 

Im Gegensatz zur klassischen europäischen Musiktradition, von Bach über Mozart zu Schönberg, die primär an Harmonien und Melodien interessiert ist (die bekannte, klassische europäische Funktionsharmonik), spielt Dub, und seitdem ein Grossteil der elektronischen Popmusik, mit Klangfarben und Klangräumen, ähnlich wie der französische musikalische Impressionismus Ende des 19. Jahrhunderts, und muss sich oft (pseudo-)akademischer Kritik stellen, so wie Claude Debussy sie 1887 von der Academie des Beaux-Arts auf sein Werk »Printemps« zu hören bekam: er habe »die allzu ausgesprochene Neigung zu Fremdartigkeiten«, und zu ungewöhnlichen musikalischen Farben, über denen Linienführung und Form allzu leicht vernachlässigt würden.(1)Dub ist zudem ohne das rhythmische »Primat« (im Gegensatz zu Harmonien und Melodien) auch nicht wirklich denkbar, geht es dabei doch auch immer um das weg Verschiebungen von Drums & Bass, um Räume, die durch Zeit manipulierende Effekte aus dem Beat/Groove generiert werden. Nicht umsonst heißt die Pause im Reggae ja »Space«.Diese Fremdartigkeiten und ungewöhnlichen musikalischen Farben aber machen den Reiz von Dub aus, etwa die an musique concrete erinnernden eingestreuten Samples (so wie bei Lee Perry’s »Kojak« 1975), die Betonung rhythmischer Phrasen bis zum Grotesken, oder die Verletzung grundlegender Studiotechnikregeln wie das Zufügen von Reverb zum Bass (auf »Scientist meets the Space Invaders«, 1981).Aber zurück zum Missing Link, dem Bestandteil der neueren (Pop-) Musikgeschichte, welcher sich ausdrücklich auf Dub bezieht.Dub war zwar seit Mitte der 1970er Jahre nie ganz verschwunden gewesen, hatte einerseits im Underground recht puristische Nachahmer gefunden, die meiner Meinung nach aber zu sehr am Klang der 1970er Jahre klebten, oder hatte in Technoproduktionen überlebt, die vielleicht eher unbewusst die Produktionsweise der Dubproduzenten übernommen hatten. Kurz: Dub führte so etwas wie ein Schattendasein.

 

Dub-Step

 

Da tauchte Anfang 2004 in einer britischen Newsgroup das Wort »Dubstep« auf meinem Monitor auf. Das Wort hatte mich sofort fasziniert, es vereinte etymologisch die Leichtigkeit von 2step mit der erdigen Schwere von Dub.Bei weiteren Recherchen im Internet für oben erwähnte Vorlesung stieß ich dann auf die CD »Dubstep Allstars Vol.1, mixed by DJ Hatcha«, und ich hatte meinen Missing Link: die auf dieser Mix-CD enthaltenen Produzenten wie Benga, Skream, Benny Ill oder DJ Hatcha selbst brachten es auf den Punkt und hoben Dub aus seiner dunklen Nische, indem sie den Bass zwar wie üblich verstärkten, aber das Gesamtbild auch mit zuvor eher ignorierten Techno- und House-Elementen aufhellten, sowie mit Leftfield-Electronica-Beigaben wie Granularsynthese und/oder vertrackten Beats modernisierten. Die Scheibe funktionierte sowohl in Zimmerlautstärke über die Boxen, als auch über Kopfhörer.

 

DJ Hatcha

 

DJ Hatcha im Gespräch in Wien, Juni 2007: »Diese CD hatte sich so um die 3-4000 mal verkauft, sie war die erste Compilation auf Tempa.« Stichwort Tempa. Das Londoner Label, auf dem Künstler wie Skream, Benga oder Loefah veröffentlichen und das letztes Jahr auch die großartige Selbsthistorifizierung des Genres, »The Roots of Dubstep«, herausgebracht hat und das neben einer musikalischen Entwicklungsgeschichte von Dubstep auf der CD ein musikwissenschaftliches Foldout beilegt, das jedem akademisch veranlagten Musikliebhaber das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. (2)Mittels einer zeitbasierten Flowchart wird an Hand von Künstlern und Labels die Evolution von Jungle/Drum & Bass, 2-Step und Garage sowie Dub und Dancehall, mit Zugaben von Electronica/Experimental und Breakbeat, zu Dubstep erklärt. Hatcha, den ich rein äußerlich der Modbewegung zurechnen würde (er sieht aus wie Roger Daltrey auf der ersten Who-LP), antwortete auf meine Frage, wie er denn Dubstep definieren würde, mit: »The Bass Is Back!« Als er am zweiten Abend des Dubstep-Festivals im Rahmen von »Into The City« (einem Sub-Segment der »Wiener Festwochen«) auflegt, wurde mir klar, wie lange er schon dabei sein musste; er legt geraden Dubstep auf, heute schon »klassisch« anmutend, mit schnörkellosen Strukturen – und klaren, warmen Bässen.

 

Boxcutter

 

Am ersten Abend des Wiener Dubstep-Festivals hatte ich mir vorgenommen, Boxcutter alias Barry Lynn, zu interviewen. Nach dutzendmaligem Abspielen seiner »Oneiric«-CD, 2006 auf Mike Paradinas` Planet Mu Label erschienen, musste das sein – und das Gespräch sollte noch interessanter werden als angenommen.Er sieht sich weder als Dubstepmusiker, noch als einer »Szene« zugehörig. Im Unterschied zur Londoner Posse um Hatcha, Benga oder Loefah, die am zweiten Abend eher als eingespielte Gruppe erschienen.Boxcutter hat Astrophysik studiert, ehe er professioneller Musiker wurde. Das passierte erst vor ein paar Monaten, als sein oben erwähntes Album gute Reviews erhielt, und es sich ein paar tausend mal verkaufte.Er ist Musiker, kein DJ (man möge mir die Unterscheidung verzeihen, ich bin eben selbst Musiker). Er war Gitarrist in einer Band, bevor er (mit Cubase am PC im Heimstudio) zu produzieren begann. »Wir spielten psychedelischen Rock. Nachdem ich Hendrix in ›Monterrey Pop‹ gesehen hatte, wollte ich genau so etwas machen. Lange und laute Improvisationen, mit vielen Effekten und Feedback, manchmal nur Gitarre und Drums. Wie Hendrix bei seiner ‚Band of Gypsies’-Phase. Mein Vater hatte auch ›No Pussyfooting‹ von Eno und Fripp, das hat mich auch stark beeinflusst.« (3)

 

Bei seinem Gig spielt Boxcutter live Bassgitarre zu vorgefertigten Strukturen und Loops am Laptop, die er in Echtzeit mittels Software (Reaktor) verändert, wobei sich die gespielten Bassfiguren an den neu entstehenden Strukturen orientieren und umgekehrt. Er spielt Teile seines Albums, verändert durch Reaktor, aber auch neue Stücke, die mich streckenweise an Soft Machine erinnern. Die latente Verspieltheit der Musik wurde aber durch kurz eingestreute monotone Phasen und elektronische Noises in Schranken gehalten. Das Konzert war sowohl zum Tanzen als auch zum Zuhören äußerst gut geeignet.

 

Milanese

 

Milanese, bürgerlich Steve Milanese, war der zweite »Musiker« des Wiener Dubstepfestivals im The Zoo, der live mit Laptop performte. Er hat einen Abschluss in elektronischer Musik, und antwortete auf meine Frage, wie sich das denn auf seine Musik auswirkte: »Es zeigte mir, dass mehr in elektronischer Musik steckt, als man in Clubs hört oder in DJ Magazinen liest. Die Ausbildung spielt eine ziemlich große Rolle, einige Konzepte der elektroakustischen Musik wie Spektromorphologie beeinflussen stark die Art und Weise wie ich Sounds kreiere und wie ich Kompositionen zusammenfüge.« Beim Livegig triggerte er Samples und FX über seinen Controller, und ähnlich wie Boxcutter gelang ihm die Brücke zwischen Listening und Dance.

 

Let’s Dance

 

Ich hatte das Glück, aktiv in der Entstehungsphase von zwei weltumspannenden popmusikalischen Strömungen dabei zu sein, Mit Dubstep jedoch jetzt von insgesamt drei: Ende der 1970er bei Punk, Ende der 1980er bei Acid House und Techno, und jetzt eben bei Dubstep. Ein sich wiederholendes Phänomen war in der frühen Entwicklungsphase von allen drei Stilen zu beobachten: Bei Livekonzerten tanzen Frauen wie Männer mit der gleichen Begeisterung, Wildheit und dem gleichen Selbstbewusstsein. So geschehen auch beim Wiener Dubstep-Festival.Hatte Tempa Records noch von seiner ersten »Dubstep Allstars Vol. 1« Compilation, die DJ Hatcha gemixt hatte, circa 3000 Stück verkauft, war die dieser Tage erschienene »Dubstep Allstars Vol. 5« nach 4000 Verkauften in der ersten Woche ausverkauft.

 

N-Type

 

DJ N-Type, der die CD gemixt hat, auf meine Frage, ob Dubstep jetzt an der Schwelle zum Ausverkauf, zur Kommerzialisierung stehe: »Nein, denn der Aufstieg von Dubstep, so circa seit 2003, erfolgte nie sprunghaft, sondern nachvollziehbar, in kleinen Schritten. Niemand wurde über Nacht reich und berühmt. Wenn ich in London auflege, kommen maximal 300 Leute. Das Publikum ist total gemischt, Du findest Studenten und Arbeitslose, middle class people neben working class people. Wir befinden uns jetzt aber in einer Übergangsphase, wie zum Beispiel das Interesse von Zeitschriften wie ›The Observer‹ oder ›Independent‹ zeigt. Ich kann aber bei Weitem noch keine Verfallserscheinungen erkennen. Was auch sehr angenehm ist, ist die völlige Aggressionslosigkeit während der Abende. Nie gibt es Ärger, jeder/jede verhält sich höflich und respektvoll dem Anderen gegenüber.«Auf meine Frage, wie er Dubstep definieren würde, sagte N-Type: »Anything you want it to be«. Technisch gesehen ist fast immer fetter Bass dabei, Inspirationen kommen durch natürlich Jungle, aber auch Dub, Hip Hop, Techno und orientalischer r weg! Musik. Sehr wichtig ist auch ›space‹, also Räumlichkeit.«Darin besteht ein weiterer Reiz dieses Genres, nämlich die Dialektik zwischen dem erdigsten Bass, den jemals ein Synthesizer ausspuckte und den kristallinen, urban-coolen Flächen, die der vermeintlichen Erdung durch die Bassdrum entgegenwirken und das Spiel in Richtung der oben angeführten »ungewöhnlichen musikalischen Farben« treiben. Also Bassdrum auch als BASS definieren. DJ N-Type: »Mein Produktionsablauf sieht so aus: Ich mache einen Mixdown eines Tracks, dann gehe ich damit zum ›Transition‹-Masteringstudio, wo der Sound noch ausgefeilt und verbessert wird. Dort wird es schließlich auf Dubplate gepresst. Der Test erfolgt dann live im Club (N-Type legt in East London, im FWD, auf, Anm. G.D.), wo dem DJ ein vom Club angestellter Tontechniker zur Seite steht.«

 

Benga

 

Ich fragte Benga, wie er den auf seinen Produktionen vorherrschenden, und das Genre prägenden Bass erzeugt, was er mir zu meiner Verblüffung ziemlich genau erklärt (was wieder für die Offenheit dieser jungen Szene spricht): »Ich nehme zwei Basslines, filtere aus einer alle hohen Frequenzen, aus der anderen alle tiefen und lege sie wieder zusammen. Mit Filtermodulation spiele ich noch auf dem Bass mit den hohen Frequenzen.« Genial! Der Bass als subsonisches Perkussionsinstrument im Wechselspiel mit der Kickdrum, und gleichzeitig als Melodie führendes Element, ausgesprochen praktisch und effektiv. Noch etwas Raumerzeugendes wie eigenartige Samples aus den 80ern etwa, noch etwas Perkussion dazu, und ab durch den Kompressor damit. Fertig, sollte man meinen.Nur hat jeder der Interviewten seine eigene Arbeitsphilosophie.DJ N-Type, Boxcutter und Loefah experimentieren mit Sounds, bis etwas dabei herauskommt, das wert ist, gesaved zu werden. Das kann eine Melodie, ein Basslauf oder ein Sample als Ausgangspunkt sein. Ob sie mit Rhythmen, mit abstrakten Samples oder mit Sounds beginnen, entscheidet der Moment. Benga dagegen hat alles im Kopf und fertig, bevor er den Rechner im Heimstudio in Südlondon hochfährt.Allerdings kam ihm da offensichtlich die eigene Arbeitsweise in den Weg, als er sein im August erscheinendes Album (auf Tempa) in Rekordzeit komponierte und einspielte, er jedoch danach fand, die Tracks würden alle zu ähnlich klingen. Also wird im Moment alles wieder auseinander genommen und neu strukturiert.

 

Loefah

 

Loefah, von dem die Definition von Dubstep »Its the people´s music« stammt, setzt den Beginn von Dubstep auch mit 2003 an: »Vorher gab es hauptsächlich ›late garage‹«. Sehr wortkarg und reserviert, mit den nach meiner subjektiven Empfindung »psychedelischsten« und »deepesten« Atmosphären (ich war ziemlich überzeugt gewesen, er sei schwarz, was ein typischer Irrtum war) von allen Dubstep-Produktionen, konnte ich es nicht lassen ihn zu fragen, ob er (wie Boxcutter) vom psychedelischen Rock der späten 1960er Jahre beeinflusst sei, vielleicht speziell von der Londoner Szene um Syd Barrett. Er strahlte kurz auf, und sagte: »Pink Floyd no, Pink Floyd with Syd Barrett, yes.« Macht ja auch Sinn, denn was die vier Musiker (mit dem Producer Norman Smith) 1967 im Abbey Road Studio geschaffen hatten, hatte ja auch sehr viel mit einer architektonischen (und mit minimalem Equipment produzierten) Musiksprache zu tun. Und es kam auch aus London.

 

Party On!

 

Beim Liveset präsentieren die Londoner ein interessantes neues DJ-Konzept. Alle vier Produzenten spielten dabei eine ihrer wertvollen Dubplates bis zu dem Zeitpunkt an, an dem ein für Dubstep charakteristischer, unwiderstehlicher Klang (meist Bassline in Verbindung mit Kickdrum) einsetzte. Dann wurde sehr schnell der Pitch des Turntables auf Null gefahren, und somit eine einsekündige Stille erzeugt. Da übernahm der MC, und während eines etwa 30sekündigen Breaks ließ er einen Slam (meist eine eventuell zu häufig kommende Lobeshymne auf den DJ) los. In diese Verbalattacke mischte der DJ dann den bereits vorher angespielten Track, und ab dem treibenden Part, ab dem vorher ausgeblendet worden war, ging es dann mit voller Lautstärke weiter.Das Publikum raste, der Trick funktionierte den ganzen Abend lang.Eine von Techno kommende Annäherung an Dub hat nicht wirklich funktioniert, es musste genau umgekehrt geschehen: von Dub und Reggae kommend, sich an Techno annähern.

Das funktioniert, man nennt es Dubstep.

 

www.stationrose.com

www.skug.at/

 

(1)„Debussy und der musikalische Impressionismus“, Volker Scherliess, Booklet zu: Debussy: Images, The Cleveland Orchestra, Pierre Boulez, Deutsche Grammophon 1992.

(2)„The Roots of Dubstep“, CD und additional info, Tempa CD007, London 2006.

(3)„No Pussyfooting“, Fripp and Eno, 1974. music.hyperreal.org/artists/brian_eno/interviews/hitpa74b.html